– Hamburg öffnet als letztes Bundesland die Grundschulen
– Rund ein Drittel der Schüler weiter ohne Perspektive
– Familieninitiative vermisst Priorität für Bildung

Wenn am Montag die ersten Hamburger Schüler:innen wieder in ihre Klassen zurückkehren, liegen drei Monate hinter ihnen, die sie zu Hause verbringen mussten. Die Schulen der Hansestadt haben den im Bundesländer-Vergleich längsten Lockdown erlebt. Damit ist Hamburg Schlusslicht bei der Berücksichtigung der Rechte und Bedürfnisse von Kindern.

In vielen anderen Bundesländern haben die Grundschulen bereits im Februar mindestens im Wechselmodell wieder geöffnet. Im Nachbarbundesland Niedersachsen sind die Grundschüler:innen bereits seit Januar wieder in ihren Klassenräumen und nebenan in Schleswig-Holstein sind die Grundschüler in einigen Kreisen bereits seit dem 22. Februar in voller Klassenstärke zurück im Präsenzunterricht. „Der Hamburger Senat hat die Kinder im Stich gelassen, Schulöffnungen entgegen früherer Versprechen hintenangestellt und erst einmal in anderen Bereichen Lockerungen zugelassen”, kritisiert Anna-Maria Kuricová von der Initiative Familie, Landesgruppe Hamburg.

Auch Hamburgs Kitas gehören zu den Schlusslichtern im bundesweiten Vergleich: Sie starten erst am Montag in den eingeschränkten Regelbetrieb, was für viele Familien weiterhin Einschränkungen bei den Betreuungszeiten bedeutet.

Viele Schüler:innen immer noch ohne Perspektive

Was viele jedoch vergessen: Der jetzt schon im Ländervergleich längste Lockdown der Bundesrepublik geht für viele Hamburger Schüler:innen weiter. Mit dem ersten Öffnungsschritt für die Grundschulen und Abschlussklassen der Hansestadt kehren nach Angaben der Schulbehörde nur rund zwei Drittel der Schüler:innen tageweise in ihre Klassenräume zurück. Das übrige Drittel muss weiter im Distanzunterricht ausharren. Und das auf unbestimmte Zeit. Anders als in vielen anderen Bundesländern haben diese Schüler:innen noch nicht einmal eine Perspektive. Während in Hamburg am Montag die ersten Schüler:innen überhaupt zurück in die Klassen dürfen, folgen zur gleichen Zeit beispielsweise in Bayern die letzten: Vom 15. März an werden im Freistaat alle Schüler:innen wieder zur Schule gehen, sofern die örtliche Inzidenz unter 100 liegt. „In der Kultusministerkonferenz sind wir uns einig: Wir wollen, dass noch im März alle Schülerinnen und Schüler wieder zur Schule gehen – auch wenn es im Regelfall erst mal Wechselunterricht sein wird”, sagte Britta Ernst, Brandenburgs Bildungsministerin und Vorsitzende der Kultusministerkonferenz vergangene Woche.

„Wir fordern, dass Hamburg die Rechte und Bedürfnisse aller Kinder in der Pandemie wieder zur Priorität macht und bei den Schulöffnungen schnell nachzieht”, sagt Tatjana Sosin von der Initiative Familien. Während an den Hamburger Stadtteilschulen die Klassen 5 bis 8 und die Jahrgänge 11 und 12 weiterhin zuhause bleiben müssen, sind es an den Gymnasien die Stufen 5, 7 bis 9 und 11, die weiterhin ausschließlich im Fernunterricht lernen müssen. Von Bildungsgerechtigkeit kann hier nicht die Rede sein. Das sah in dieser Woche auch das Verwaltungsgericht Berlin so und gab der Klage einiger Berliner Eltern statt. Der vollständige Ausschluss einzelner Klassenstufen vom Präsenzunterricht sei „gleichheits- und deshalb rechtswidrig”, so das Gericht[1]. Das Land Berlin muss jetzt bei dieser Ungerechtigkeit für Abhilfe sorgen.

„Auch mit Blick auf die psychosozialen Schäden können wir Erwachsenen Schul- und Kitaschließungen nicht länger zulassen und müssen die Kinder endlich aus ihrer misslichen Lage befreien, indem wir selbst Verantwortung übernehmen. Einschränkungen sollten eher den Erwachsenen, als den Kindern zugemutet werden”, sagt Tatjana Sosin. Verschiedene Studien zeigen, wie groß die Schäden sind, die durch die Schulschließungen entstehen. Bildung und soziale Teilhabe werden den Kindern genommen, Chancengerechtigkeit geht verloren. Essentielle Entwicklungsschritte werden verpasst und lassen sich nicht nachholen, warnen Fachleute. Psychosoziale, emotionale und auch physische Erkrankungen bei Kindern nehmen zu.[2]

Versprechen gebrochen?

„Schulen und Kitas zuletzt schließen und zuerst öffnen” – das war die Aussage der Politik und die Empfehlung anerkannter Organisationen wie der WHO und der ECDC. „Von dieser Priorität entfernen wir uns derzeit jeden Tag weiter“, sagt Anna-Maria Kuricová. „Daher appellieren wir an den Senat, allen voran an Bürgermeister Tschentscher und Sozialsenatorin Leonhard: Sorgen Sie dafür, dass kein Hamburger Kind abgehängt wird! Lösen Sie Ihr Versprechen ein und setzen Sie Bildung für Kinder an die oberste Stelle. Es darf nicht sein, dass unsere Kinder vom Homeschooling aus mitverfolgen müssen, wie um sie herum Friseure, Kosmetikstudios und Blumenläden – und demnächst womöglich auch Biergärten – öffnen.”

Dabei hatte Peter Tschentscher noch im Dezember die „wissenschaftlichen Grundlagen” gefordert, mit denen Schulschließungen zu rechtfertigen – oder eben zu verhindern seien. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse liefert nun auch das RKI: In einer Studie[3] kommen die Experten zu dem Schluss, dass Schüler „eher nicht Motor” der Pandemie sind und das Risiko bei den Grundschulkindern zudem am geringsten ist. In dem Papier empfiehlt das RKI bei schrittweisen Öffnungen, dass zuerst die unteren Klassenstufen wieder in den Präsenzunterricht kommen. Wechselmodelle werden explizit nur für ältere Schüler:innen als „gute Option” bezeichnet. „Dass in Hamburg selbst die Vorschüler, wie erst heute Morgen bekannt gegeben wurde, nur im Wechselmodell zurückkehren dürfen, ist daher besonders ärgerlich”, sagt Tatjana Sosin.

Tests können Schulöffnung flankieren

„Wir begrüßen es sehr, dass der Schulsenator die Schulöffnung mit Schnelltests begleiten will. Die Rückkehr zum Regelbetrieb kann durch eine sinnvolle Teststrategie weiter abgesichert werden, zum Beispiel nach dem Vorbild Österreichs”, sagt Tatjana Sosin. Dort werden alle Schüler:innen und Lehrer:innen zwei Mal pro Woche mittels Schnelltest getestet.[4] Eine regelmäßige Testung erhöht die Sicherheit für Schüler:innen, Eltern und Schulbeschäftigte und unterstützt zusätzlich die ohnehin hohen Sicherheitsstandards der Hygienekonzepte. „Wir sind froh, dass Senator Rabe sich so hartnäckig dafür einsetzt, dass Hamburgs Schulen mit genügend Schnelltests ausgestattet werden”, sagt Anna-Maria Kuricová.

Wechselmodelle sind noch keine echte Öffnung

Das Wechselmodell, also die Teilung der Klasse und der Wechsel zwischen Schul- und Homeschooling-Tagen, kommt de facto einer 50-prozentigen Schließung der Schule gleich. „Daher fordern wir die Rückkehr aller Kinder und Jugendlichen in Hamburg in Kitas und Schulen. Kitas sollen schnellstmöglich in den Regelbetrieb, Grundschulen in den vollen Präsenzunterricht. Für weiterführende Schulen kann für eine begrenzte Zeit ein Wechselmodell umgesetzt werden, bevor auch hier die Rückkehr zum vollen Präsenzunterricht erfolgt”, sagt Tatjana Sosin.

[1]https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1062949.php

[2] zuletzt z.B. die Copsy-Studie des UKE https://www.uke.de/allgemein/presse/pressemitteilungen/detailseite_104081.html

[3]https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/13_21.pdf?__blob=publicationFile

[4] Österreichs Teststrategie: https://www.bmbwf.gv.at/Themen/schule/beratung/corona/selbsttest.html

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